20110202

ES KRÄHT KEIN HAHN (Quiet heart)

Neuglobsow am Stechlinsee, 25. September 2009, 17.32 CET (Central European Time)

Some place I don´t know
Doesn´t matter how far you come
You´ve always to go further

Habe ich an deiner Brust vor Sonnenaufgang nicht noch gestern gefleht: „Bleib“?“ Dabei warf ich dich eine Stunde später aus der Weinertstraße raus. Jetzt drücke ich mein Kreuz gegen den Türstock und atme lang aus. Doppelt so lang ausatmen wie einatmen, heißt es, um ruhig zu werden. Auf keinen Fall hyperventillieren, sage ich mir. Ich bin nicht gerannt, ganz vorsichtig habe ich einen Fuß vor den anderen gesetzt. Eine Frau, die sich im Griff hat, so bin ich gegangen vom Ortseingang her, wo Karims Blut auf den Gehweg gespritzt ist, zurück zum Haus am See.

Ich kam vom Fontane-Haus her, als ich die Sirenen heulen hörte. Hier passiert kaum was, da schaut man schon mal nach. Ulla rief: „Es ist einer gegen einen Baum geknallt.“ Hier sind immer die Alleen-Bäume schuld, wenn ein Unglück geschieht. Das Blaulicht des Rettungswagens blinkte schon still, als ich dich in deiner Lederkluft neben dem verdrehten Körper stehen sah. Zu retten war da nichts mehr. Diese Schulterpartie erkannte ich zweifelsfrei, noch bevor du dich umdrehtest: Der dunkle Ritter am See. Unter dem Helm zu deinen Füßen lugten die schwarzen Locken hervor. Karim. TRAIN SPACE. comecomecomecomecome. Du brachtest ihn her. Weil ich mit ihm sang? Was wolltest du am See? Bei mir? Mit Karim? Mit Karim. Als du mich sahst, ließt du dich auf die Knie sinken und umklammertest meine Beine. Starr hielt ich mich gerade. Und Ulla, die sich alles erklärte: „Der Junge hat einen Schock.“ Meine Hand in deinem Harr. (Tausendmal zersaust. Meine Lippen auf deinem Scheitel).

Ich drückte die Knie durch. „Sind Sie in Ordnung?“ Du schaust auf und glaubst nicht, was du siehst. Ich kenne ihn nicht, sagen meine Augen, mein Mund, meine Stirn. „Mein Gott, der ist ganz verstört.“ Ulla bückt sich neben meinem Geliebten nieder. Ich möchte schreien: „Karim ist tot.“ Mörder sind wir. Tomasz, du und ich. Es schreit und schreit. Doch ich bleibe stumm und kalt. Ich kenne dich nicht. „Annie...“ „Bitte.“ Die Rettungssanitäter tanzen um die Leiche mit ihrer Trage. Sein Helm wird abgenommen, Gehirnmasse fließt auf das Trottoir. Karim? Karim. Dein Kinn an meinem Knie. Ich lege eine Hand auf deine Schulter und beuge mich ein wenig vor. „Kommen Sie...“ „Annie...“ „Bitte.“ Eh der Hahn kräht, hab ich dich dreimal verraten. Als er aufsteht, endlich, ist es vorbei. Dass ich dich liebe, habe ich nie gesagt.

I try to tell you
I can only say when we´re apart
About this storm inside me
And how I miss your
Quiet, quiet heart

Das hier war Tabu. Neuglobsow am See. Meine Familie Jemand musste dafür büßen. Die Melusine in den Meeren. Aber warum Karim? Wenn es dich getroffen hätte, das wäre gerecht gewesen. Hast du nicht die Ordnung der Welt ins Wanken gebracht, als du dich in mich versenktest? Singend kam er mir näher als du je, wenn du in mich stießest. Wir waren einen Moment, was du von mir willst: vereint. Konntest du das nicht vergeben? Wer bist du, Tom Hell?„Be my nightmare.“ Jetzt werde ich dich nie mehr los. War das der Plan?

Der Rettungswagen fuhr davon. Das verwaiste Motorrad lehnte an der Platane. Am Boden trockneten Blut und Sekret. Ich ging nach Hause. Ganz langsam. 

Ich löse mich vom Türrahmen. Von oben ruft Daniel: „Was gibt´s heute zu essen, Mama?“ Das geht weiter. Gerettet?

It doesn´t matter
How far you´ve come
You´ve always to go further
To go

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